In Tagen wie diesen ist man bedroht von Frust, Angst oder Depressionen befallen zu werden. Terror überall, ob Frankreich, Belgien, England oder nun auch Deutschland. Was nicht in die Rubrik „IS“ fällt, wird irren Einzeltätern zugeordnet, davon laufen auch weltweit genug herum. Da fragt man sich: Was ist los mit dieser Welt. Dann besinnt man sich wo man ist. In der Dominikanischen Republik. Erst Anfang der Woche simulierte man auch hier einen Terroranschlag. Nun ist es aber so, dass der Einheimische gern von „Todo el Mundo“ spricht und sein eigenes Land meint. Ist es wirklich so gefährlich hier?
Man besinnt sich zurück. Da war die Unzufriedenheit in der Heimat, oder der Lockruf des Paradieses. Vielleicht auch Beides. Wir Residenten, die hier leben, haben aber alle den Schritt gewagt, weil wir eine Verbesserung unseres Lebensstandards versprachen. Das heißt nun nicht dass man im Marmorpalast wohnt, im Gegenteil. Die uns bekannten Standards wie Wasser und Strom sind hier noch eher ein Luxusgut, vor allem wenn man es 24/7 erwartet. Es war also etwas anderes was uns lockte.
Wer glaubte, dass man hier mit Leichtigkeit leben kann, der sah sich schnell getäuscht, schon ein einfacher Termin mit einem Handwerker kann zum Chaos führen, Pünktlichkeit ist eine Zier… Mit jedem Tag den man hier länger lebt, wird man sich bewusst, dass man einen steinigen Weg ins Paradies gewählt hat. Wer hier kein Lehrgeld gezahlt hat, der schummelt wohl. Wer hier keine Verluste und Enttäuschungen erlebt hat, der lügt. Ob im Geschäft oder in der Liebe, schnell merkt man, dass im Paradies auch Schlangen leben.
Noch schneller merkt man, dass die Dichte von Schlangen und Parasiten vor allem in touristischen Gebieten sehr hoch ist. Hier lauert jeder auf den großen Deal, versucht die eine oder andere Abzocke. Dabei meine ich nicht unbedingt eine Bedrohung durch Dominikaner, nicht selten sind es die eigenen Landsleute die einen übers Ohr hauen wollen. Hinzu kommt eine steigende Unsicherheit im Lande, wieder fragt man sich: was mache ich hier? Sollte man nicht…rückwandern oder weiter wandern? Oder nimmt man den Kampf auf?
Doch siehe oben, die Welt ist verrückt und verrückt sind auch die Dominikaner. Im positiven Sinn, denn sie leben hier zu mehr als 40 % in Armut, viele sind von Armut bedroht. Aber sieht man es ihnen an? Ja, ihre armseligen Hütten, die abgetragene Kleidung. Aber schauen wir ins Gesicht dieser Menschen. Die Haut von der Sonne gegerbt, die Falten des Alters. Aber Sorgenfalten? Die sieht man nicht.
Das ist der Zeitpunkt, wo man sich Gedanken machen muss. Soll man auf hohem Niveau jammern, oder soll man sich ein Beispiel an den Dominikanern nehmen?
Ich weiß, das klingt vor allem aus meiner Feder ungewohnt. Kritik ist mein zweiter Vorname, aber ich kann zum Trost sagen: Würde ich in Deutschland leben, es wäre wohl mein erster! Ja, die Dominikaner zeigen uns, wie man mit Problemen fertig wird. Und diese Eigenschaften sollte man sich aneignen, wobei ich eingestehe, an manchen Punkten scheitere ich auch nach 17 Jahren hier im Land. Manches hat man halt im Gemüt, im Blut, da ist man so urdeutsch, aber innerlich wünschte ich mir…
…die karibische Leichtigkeit des Seins. Dem Dominikaner ist Zeit nicht wichtig. Wir machen uns Stress, setzen uns unter Druck, machen uns kaputt. „Tranquilo amigo“, besser noch „ahorita“ und man weiß, viel passiert nun nicht mehr. Da sollte man sich nicht ärgern sondern auch in den Leerlauf schalten.
…Schlimm, schlimmer…wird schon wieder gut. Mit einer Gelassenheit die nicht einmal ein Bahnbeamter an den Tag legen kann meistert der Dominikaner die Probleme. Ob es einige Rechnungen sind die man zahlen muss, der Verlust eines Jobs, eine Krankheit. Er bleibt, auch wenn ein wenig gejammert wird, gelassen. Denn er weiß, es kommen bessere Zeiten, vor allem weil er sich auf seine Nachbarn und Freunde verlassen kann.
…womit wir bei der Hilfsbereitschaft sind. Der Nachbar, auch wenn man sich mal in den Haaren hat, ist der Rückhalt, neben der Familie. Was sonst soll man auch haben in einem Land wo soziale Sicherheit nicht existiert? Man hat nur diese zwei Stützen im Land. Irgendwer bringt einen Teller Reis, ein anderer kommt mit ner Flasche Rum vorbei. Der Zusammenhalt im Barrio ist einzigartig und wenn man nun mal wieder einen Vergleich mit seiner alten Heimat zieht, dann kann man sich glücklich schätzen wenn man dominikanische Nachbarn hat. Ja, sie machen mal Krach, gehen einem auf’s Gemüt, aber sie sind immer da. Hilfsbereitschaft ist hier eine Garantie im „Veedel“, wie der Kölner sagt.
…die Familie. Vielleicht ist die Not eine Tugend. Warum lebt man mit drei Generationen unter einem Dach? Weil man gemeinsam stark ist. Jeder hat ein wenig, jeder gibt etwas dazu. So kommt man durch schlechte Zeiten und wenn es allen gut geht, dann lässt man auch andere daran teilhaben. Dann nämlich wird…
…gefeiert. Es ist eine der dominikanischen Tugenden, auch mit Wenig kann man Spaß haben, sich freuen. Dazu gehört dann Musik und Tanz, ein wenig (oder mehr) Alkohol. Es braucht nicht einen Geburtstag, ein Jubiläum oder sonstigen Grund. Der Dominikaner kann einfach so mal feiern. So kann man Probleme vergessen, einen alten Streit beilegen und alles ist gut. Feiern kann man immer, an jedem Tag, zu jeder Zeit.
…an dieser Freude darf auch ein Fremder teilhaben. Man ist schnell aufgenommen im Kreise der Dominikaner. Er kennt keine Berührungsängste, ist das, was man in einigen Reiseführern immer wieder findet: gastfreundlich. Selbst in der ärmsten Hütte wird einem zugewinkt, wird einem ein Kaffee angeboten. Man redet mit Händen und Füßen und ist schnell ein „amigo“. Es ist eine Gastfreundschaft die wirklich sprichwörtlich ist.
Alle diese Dinge muss man sich als „Extranjero“ einmal vor Augen führen. Wo ist unser Familiensinn, unsere Herzlichkeit, unsere Hilfsbereitschaft und Gelassenheit? Nein, wir leben zu gerne in einem abgeschlossenen Residencial, hoch eingemauert und wollen vom Nachbarn nichts hören oder sehen. Wenn man sich so isoliert, dann scheint auch keine Sonne mehr, dann ist oder wird man unzufrieden.
Dabei führt der Weg zum Glück nur über einen selbst. Wer mit sich nicht im Reinen ist, der kann auch nichts mit dominikanischer Gemütlichkeit anfangen. Der wird auch nie in den Genuss kommen, dass der Nachbar einen Teil seiner Ernte aus seinem Garten vorbeibringt. Oder hilft, wenn das Auto einen Platten hat. In diesem Sinne sollten wir alle ein wenig dominikanisieren. Eine Gratwanderung, aber wer das schafft, sich öffnet und freundlich den Einheimischen begegnet, dem werden auch in diesen schweren Tagen immer freundliche Menschen begegnen.
In diesem Sinne: Schneiden wir uns ein paar Scheibchen ab von unseren Gastgebern und dann fühlen wir uns, auch mit Problemitas, im Paradies. Oh, das hätte ich fast vergessen. Ein wenig Neid kommt jetzt auf. Wenn es um den „Orgullo“ geht, den Stolz des Dominikaners. Ja, den hat er, den Nationalstolz. Bei jeder Gelegenheit wird die Fahne geschwenkt. Man macht keinen Hehl daraus zu sagen dass man stolz ist ein Dominikaner zu sein.
Pessimisten werden nun sagen: worauf denn? Aber das spielt keine Rolle. Die Nation steht zusammen, man zeigt seine Flagge. Gerade auch beim Sport. Ob es ein Leichtathlet ist oder eine Mannschaft, man identifiziert sich mit seinem Team, man ist Dominikaner. Und darauf ist man stolz. Und dann fällt einem beschämend ein: in Deutschland ruft man bei der EM zum Fahnenverbot auf. Man hat nicht einmal eine Nationalmannschaft, spricht nur verlegen von der „Mannschaft“. Das Wort NATIONAL ist gestrichen. Bei einer Demonstration die deutsche Flagge zeigen? Das geht doch gar nicht, Nur nicht provozieren! Ich bin stolz dass ich ein Deutscher bin! Wer das sagt – Klatsch, kommt die Nazikeule. Ja, da fragt man sich: Was ist falsch in unserer Heimat und warum können andere Länder ihre Fahnen schwenken? Die Dominikaner kann man in diesem Punkt erst recht beglückwünschen.
Wer als Resident hier mal das Gefühl bekommt: „genug ist genug“, dem sei gesagt = ein Urlaub in Deutschland oder seinem entsprechenden Heimatland antreten, das Schöne dort genießen. Schon bald aber sieht man sie, diese Probleme, diese Laune, dieser Missmut, dieser Frust, der wiegt das Schöne kaum auf. Am Besten ist immer, man macht mal einen Kurzurlaub, genießt ein wenig Speis und Trank, die Kultur, die Gesellschaft alter Freunde und Bekannter. Dann aber ist man wirklich wieder froh unter herzlichen Leuten zu sein und man hat neue Kraft sich den Problemitas zu stellen. Geht es einem nicht gut?